Das Frankfurter Modell

Wer sehen möchte, was unser zerbröselndes System auch ästhetisch angerichtet hat, mache sich auf zum Frankfurter Goetheplatz. Es darf ruhig bei schönem Wetter sein, damit zum Entsetzen nicht auch noch eine Depression kommt. Frankfurt kann keine Plätze, das ist eine alte Geschichte, was nicht heißt, daß an diversen Orten des Grauens und der Ödnis nicht ordentlich viel Geld versenkt worden ist. Der Goetheplatz aber, wiewohl noch nicht fertig, ist schon jetzt erkennbar als steingewordene Erbärmlichkeit. Nun sieht man erst richtig, was für armseliges Häuserzeug um ihn herumsteht. Viel Frankfurter Modell (das geht so: Man schlägt die Frau — das Haus — mausetot und läßt nur das Makeup — die Fassade — am Leben.) Auf einer dieser Sandsteinmasken steht: LEHMAN BROTHERS. Tja. Gegenüber Glasgewürge um eine arme Fassade, an deren Lebenszeit man sich noch gut erinnert.

Und nun der Platz, der Platz:
Hinten am Roßmarkt ist er ja schon fertig, und die Verursacher nennen die Betonsärge, die den Platz unbarmherzig vollklotzen, SITZQUADER. Sie sollten sie HUNDEPIESELVERTIKALSÄULEN nennen. Den Goethe haben sie verkehrtherum aufgestellt, damit die Japaner, wenn sie ihn fotografieren, automatisch die Deutsche Bank als Hintergrund haben. Ihn umgibt, was die Täter einen HAIN nennen. Es ist eine Schande, eine militärisch hintereinander hermarschierende Viererreihe aus Schnurbäumen HAIN zu nennen. Was vorher da war — erinnert sich noch jemand an den fragilen, anmutigen kleinen Garten, in dem es mitten in der Architekturwüste nach Lavendel und Rosen roch? ­hätte eher so heißen können. Ein seltsam ruhiges, von seinen Besuchern geliebtes Plätzchen war das, vielfältig und reizvoll. Sowas konnte natürlich nicht bleiben. Stattdessen sind die Gestalter mit der ganzen Wut ihrer rechtwinkligen Besessenheit über den sowieso schon zerfledderten Platz hergefallen.

Gratulation! Noch liegen palettenweise weitere teure Steine herum. Das gibt zu den schönsten Hoffnungen Anlaß! Und wenn — es gibt ja für alles einen Wettbewerb — irgendwann ein Contest für Germanys Ugliest Place stattfindet — die drei einander in Abscheulichkeit verbundenen Frankfurter Plätze Goetheplatz, Rathenauplatz und Roßmarkt haben eine echte Chance. Ich lese, am Goetheplatz soll ein Brunnen entstehen. Da war schon mal eine wasserfeindliche und intellektuell aufgeladene Häßlichkeit von Herrn Pomodoro. Der neue soll Nebel erzeugen können. Das ist gut, nur wird er nicht genug Nebel produzieren können, um das ganze Elend unsichtbar zu machen, bis hin zum neuesten Klotz, der traurig aus der Ferne grüßt und den im Moment keiner mehr haben will — dem Opernturm.

Gute Reise, Hamlet

Wofür interessiert sich Frankfurt? Nun kann sich eine Stadt als solche ja naturgemäß für nichts interessieren, sie kann nur wiederspiegeln, wo die Interessen ihrer Bürger liegen, oder jener, die die Bürger repräsentieren. Das sind nicht dieselben.

Ziemlich lange Zeit war die Sache in Frankfurt klar: Bei Laune und Tatkraft mußten Banker und Wirtschaftsleute gehalten werden, das war auch offenbar nicht weiter schwer. Natürlich hätte man in der Paulskirche mehr Erstereiheplätze gebraucht, da gabs dann immer mal wieder kleine protokollarische Kabbeleien, aber im Großen und Ganzen war die Sache klar: Der Finanzplatz, der Wirtschaftmotor, Sie verstehen. Also alles drumherumgruppiert, Provokation nur in verträglichen Dosen, Kultur muß sein, der Mensch braucht ja irgendwie was Geistiges. Bißchen kratzen darf es auch. Unterwegs, beim Ausbau jener allgegenwärtigen Kapitalismusverträglichkeit, ist etwas verlorengegangen und das fällt plötzlich auf: Das schöne kritische Potential der Stadt, repräsentiert durch Dichter, Zeichner, Verleger, Journalisten, schräge Vögel, Hofnarren und Individualisten ist schweigsam geworden.

Am Mittwoch, dem 21. Januar, wird Peter Kuper, genannt Hamlet, zu Grabe getragen und es ist bezeichnend, der sonderbarste aller Stadtnarren und Hobbyanalytiker starb schon im November, und die Stadt trauerte nicht. Sie schreit auch nicht gequält auf, da einer der Symbolverlage fürs Kritische androht, sie zu verlassen. Warum läßt diese Stadt so selten erkennen, daß sie etwas achtet oder liebt? Warum fühlt sich hier jeder, der nicht hauptsächlich dem Bezifferbaren dient, am gesellschaftlichen Katzentisch? Eine architektonisch prachtfreie Stadt wie Frankfurt müßte von der Pracht ihrer Typen leben, von Schöpferkraft und Worterfindung, von der fröhlichen Wissenschaft und dem Geist der Musik. Das alles kann man hier finden, aber eigenartig unverbunden und verlegen und nebenbei, als kulturelle Unterhaltungs­und Unterstützungsveranstaltung für die Wichtigen. Nur: Die vermeintlich Wichtigen samt ihren Existenzgründen fallen grade der Reihe nach auf die Nase, und es könnte hinter ihnen das wirklich Wichtige erscheinen, wenn man es nur ließe. Eine Bestandsaufnahme ist überfällig, eine Zählung, wieviel Gute noch im Frankfurter Töpfchen sind und wer von denen, die sich davongemacht haben, zum Wiederkommen animiert werden könnte. Und wie man die, die den Fuß schon auf der Schwelle haben, zum Dableiben ermuntert. Die sicherste Währung für Phantasie jeglicher Art ist Achtung und Zuneigung. Die Besonderen müssen geliebt und ermutigt werden. Keiner von ihnen ist ersetzbar.

In diesem Sinne – gute Reise, Hamlet. Deine Seele ist eingebunden in das Bündelein der Lebenden.

Schwedenhappen

Ich will im Fernsehen keine schwedischen Krimis mehr sehen. Oder wenigstens nicht zu neunzig Prozent schwedische Krimis. Und auch keine deutschen, die auf der Fähre nach Schweden spielen. Es nützt auch nichts, daß der neue Wallander fünf Sterne in meiner Fernsehzeitschrift gekriegt hat. Er sieht nämlich aus wie ein Bruder von den zwei anderen Wallanders, braucht für einen Satz, den er dann nicht beendet, zehn Minuten, ist angezogen wie aus der Spendensammlung und riecht bestimmt aus dem Mund. Daß in Schweden alles sehr im argen liegt und dabei auch noch das Wetter furchtbar ist, wissen wir seit Sjöwall-Wahlöö, und das ist sehr lange her. Wenn es schon schwedische Krimis sein müssen, warum kann dann Schweden nicht wie bei Astrid Lindgren aussehen?

In Zeiten der Krise brauche ich nicht Weltkrise, Wertekrise, Bildungs- Erziehungs- und sonstige Krisen im Fernsehkrimi, ich möchte reiche Leute, Investmentbanker zum Beispiel, mit schönen Frauen in schicken Häusern sehen, die sich gegenseitig aus dem Weg räumen. Sowas täte nicht nur mir gut, da bin ich sicher. Warum ich aber stattdessen im Fernsehen dauernd davon überzeugt werden soll, daß es keinen Sinn hat, nach Schweden zu ziehen, weil sich dort die Leute vor Griesgrämigkeit auf die Mundwinkel treten, weiß ich nicht. Es gibt dort auch keine interessanten Fälle, sondern die Fälle sind sozusagen das Gesamtelend, mit Katastrophenkindern, verkommenen Erwachsenen, also Normalität. Im Krimi soll aber der Fall eben nicht das Normale sein, sondern eine Abweichung, ein Seelenunfall, eine gut verborgene schwarze Stelle im Leben. Oder eine unheilvolle Verknüpfung von Schicksalen.  Sonst kann ich mir ja gleich Zwegat oder Tine Wittler anschauen. Bei denen ist im Grunde mehr Katharsis zu finden als bei Wallander. Total verkehrte Welt.

Früher hat man als fortschrittlicher Mensch darauf bestanden, das Fernsehen müßte das Elend der Welt eins zu eins abbilden, alles andere hieß Eskapismus und war ganz schlecht. Ich möchte aber gern ein bißchen flüchten können und mir nicht nur nach dem Anschauen schwedischer Krimis sagen, es sei ja hierzulande doch ganz gut auszuhalten.

Kann man nicht mal eine Krimireihe in Adelskreisen stattfinden lassen? So mit Adoptionen, Zweitehen, Waldfrevel, Jagdunfällen, das ganze auf Schlössern und in feinen Hotels angesiedelt? Produzenten können sich gern bei mir melden.

Angesichts

Eigentlich wollte ichs lassen mit dem Giftshop, es ist ja alles zu allem gesagt, und wahrscheinlich ist es das Geheimnis des sozialen Friedens, daß alle immer alles zu allem loswerden können. Aber jetzt denke ich, daß ich gut zu mir sein muß und das gleiche tun wie alle, nämlich sich nicht schreiend und mit großen Transparenten bewaffnet dorthinstellen, wo Unheil gemacht wird, sondern einfach mal wieder eine Flaschenpost ins Meer schmeißen. Es ist vollkommen gleichgültig und ändert gar nichts, aber vielleicht geht es mir danach besser.

Es geht mal wieder um das städtebauliche Treiben in der Stadt, in der ich nun schon so lang lebe, ohne je begriffen zu haben warum sie sich immer von neuem in die Arme der trostlosesten Häßlichkeit wirft. Jetzt ist November und nicht einmal mehr die Bäume spenden Trost. Im Gegenteil, ihre Nackheit hat was Hämisches. Seht an, was ihr angerichtet habt! scheinen sie zu sagen, wenn sie ihre schönen Kleider fallen gelassen haben und dahinter das graue Grauen erscheint. In der Hansaallee gibt es neue große Wohnhäuser. Sie haben unbegreiflich verliesartige Balkone, für Einbrecher sehr leicht zugängliche Parterres und eine Farbe – eine Farbe – erst dachten wir alle, die wir zunehmend bang täglich dran vorbeifuhren, das sei nur das Untendrunter und es werde doch ein Obendrüber kommen, das nicht zu depressiven Schüben führt. Aber nein. Irgendeiner dieser Täter  muß in der riesigen Palette des Grau lang gesucht haben, ehe er die allerschrecklichste Variante fand: Wovon mag er sich inspiriert haben lassen? Von einem an Leukämie sterbenden Elefanten? Von der Deutschen Kriegsgräberfürsorge?  Von Seewasser nach einem Chemieunfall? Man kann sich ein traurigeres, hoffnungsloseres, widerwärtigeres Grau gar nicht vorstellen, dagegen ist die Grabsteincouleur des Polizeipräsidiums richtig frivol! Aus vielen Erfahrungen weiß ich, daß wieder niemand dafür verantwortlich ist, es gewollt, geplant, verteidigt hat. Es ist einfach geschehen. Wieder eine Ansammlung teurer Schuhkartons, wieder das Festival der Rechtwinkligkeit, diesmal mit ökologischer Zertifizierung. Wie sonderbar sich die Traurigkeit in unserer Stadt Bahn bricht und entlädt, zeigen infantile Geschmacksverirrungen, zum Beispiel am Frankfurter Hof, dessen nobler Vorplatz von einer Alp-Öhi-Hütte ganz ungemein verschandelt wird. Oder das Potemkinsche Fachwerkmonster vor dem Eingang zur Paulskirche. Kann sich nicht irgendjemand mal damit auseinandersetzen, daß die graue Eisigkeit und die ranzige Pseudoheimeligkeit einander bedingen? Mit Architekten allerdings braucht man darüber nicht zu reden. Mit Architekturkritikern auch nicht. Mit Bauherren und Amtspersonen erst recht nicht.

Also mit wem? Eben. Deswegen die Wiedereröffnung des Giftshops. Damit man sich einbilden kann, nicht so allein zu sein.

Gartenmord

Stünde statt des dritten Buchstabens ein T, würde es sich – obgleich man in vielen Fällen Verständnis für das Delikt hat und sich oft fragt, warum es vergleichsweise selten begangen wird – um einen Straftatbestand handeln. Einen Garten darf aber offenbar jeder umbringen, wie schön, menschenfreundlich und nützlich er sein mag. Der erste, dem ich eine Totenklage widme, ist fast unbeachtet verschwunden, obwohl er wahrhaft heilsam gewesen ist. Der schöne Krankenhausgarten des Diakonissenkrankenhauses, ein Ort, der vielleicht mehr Patienten gesund gemacht hat als manche Therapie, ist heftiger Bautätigkeit geopfert worden. Als ich im Sommer eine der Diakonissen fragte, wieso denn das genehmigt worden sei und ob sich denn niemand für den Erhalt dieses ungewöhnlich klug gestalteten Gartens eingesetzt habe, antwortete die fromme Frau, man brauche nichts genehmigt zu bekommen, schließlich sei man Eigentümer und könne verfahren, wie man wolle. Ein wahrhaft gottgefälliges Statement – und so modern! So zeitgemäß und ehrlich!

So denke ich an die verschwundenen Gartenräume und Rosenhecken, an die schönen Brunnen und den Teich und an viele ganz wunderbar gestaltete Plätze, an denen man seine Krücken vergessen und die Nase in Rosmarin und Rosen halten konnte. Und vieles hörte in diesem Garten auf, weh zu tun. Man sollte sich seiner dankbar erinnern.

Vergleichweise marginal und von fast normaler Brutalität und Dämlichkeit ist die Zurichtung jenes kleinen Alleechens, das vom Funkhaus am Dornbusch zur Eschersheimer Landstraße führt. Grade im Frühling war das tolle Gelb der Forsythien, die dort üppig wuchsen, ein kleiner Trost für die unglaubliche Häßlichkeit der Straße und der U-Bahn-Station, die einen danach erwartete. Die Forsythien sind weg, kein Gelb mehr. Man wird den Weg pflastern. Das ist schön. Hauptsache sauber.

Im Marbachweg 55 lag der besondere Garten einer besonderen Frau, Marianne Beuchert. Sie ist 2007 gestorben. Als Gärtnerin, Gartenphilosophin und Autorin ist sie eine Frankfurter Legende. Und wer jetzt an ihrem geliebten Besitz vorbeigeht, kann sehen, was ein ermordeter Garten ist. Man kann es auch riechen, es ist ein unglaublich starker Duft nach getöteten Bäumen. Irgend jemand hat erlaubt, daß alle alten, großen Bäume gefällt wurden, daß die Planierraupe über die seltenen Pflanzen des weitläufigen Vorgartens walzte, daß aus einem Garten ein zum Geldmachen zugerichtetes Stück Platz gemacht wurde. Dabei ist das ehemals so schöne Stück Erde gar nicht groß. Aber man wird schon genug lukrativen Raum draufquetschen könne, darin hat man in dieser Stadt Übung.

Es ist ja schließlich Eigentum, irgendjemandes Besitz. Wenn der Jemand nach manch merkwürdigen Umwegen jetzt auch eine Wohnungsbaugesellschaft ist. Die muß niemanden fragen, und Seele oder Gewissen oder Skrupel kann man von ihr nicht erwarten.

Zu sonderbar nur, daß manch ein Gartenmensch verzweifelt mit den Ämtern kämpft, um einen einzigen wirklich schwierigen, störenden Baum loswerden zu dürfen. Und daß in anderen Fällen wertvollster Baumbestand zum Abholzen freigegeben wird, ohne daß sich auch nur ein Aktendeckel regt.

Im bayrischen Kindergarten

Meine Heimat – und dann sowas. Wo sind sie geblieben, die bajuwarischen Dickschädel, die Anarchisten und ihre weiblichen Gegenbilder? Die großen Oskar Maria Grafs und Franziska Reventlows und all die wunderbaren rauchenden, trinkenden, hurenden und herrlichste Kunst oder Geschichten hinterlassenden Figuren? Ein ehrgeiziger Bubi mit Hausfrauenfrisur und Erfolgsgeilheit in den Augen – der stark rauchende Ludwig Thoma hätte ihn einen Brucheinser genannt - sonderte Siegesmeldungen ab, daß einem schlecht werden konnte. Er klang, als sei der Afghanistan-Krieg beendet. Nicht daß irgendjemand wirklich glaubt, es ginge um etwas wichtiges: Es ist die aufgewärmte Raucherdebatte, eine der großen Ablenkungsdiskurse der vergangenen Zeit, in der von der nachrückenden Jungpolitikergeneration noch Geschreipotenzial gewittert wird. Volksentscheid! Wahnsinn!

Erreicht war nach dem Wahldebakel ein etwas lästiger und kindischer Ist-Zustand, für den Berge gekreißt hatten, eine Partei abgewatscht worden war und mit dem man letztlich leben konnte. Sie mußten einander nicht mehr ertragen, die Raucher und die Nichtraucher, wenn sie nicht wollten. Zugegeben, es ist eines erwachsenen Menschen unwürdig, sich Strategien und Tricks ausdenken zu müssen, wenn er in Gesellschaft rauchen möchte, aber seis drum: Wenn die Leute sich gefallen lassen, immer weiter infantilisiert und gegängelt zu werden, bitteschön. Traurig ist das schon, aber solange sich Karrieristen wie Herr Frankenberger nicht an echte Themen trauen, sondern sich so ihr Quantum Medienaufmerksamkeit holen, wird die Volkserziehung eine wohlfeile Möglichkeit dafür sein. Aber: Wer hat eigentlich etwas davon? Wer will in einer Kneipe am, sagen wir, Marienplatz in München, in der nicht geraucht werden darf, ganz sicher sein, daß zur gleichen Zeit in den Kneipen in Passau oder Dingolfing auch nicht geraucht werden darf? Reicht es nicht, daß er oder sie genügend Lokalitäten finden, die ihren Anforderungen gerecht werden? Muss es denn heute Bayern und morgen Deutschland und dann die ganze Welt sein? Noch einmal – wem nützt das? Der Volksgesundheit? Die Mehrheit des bayrischen Volkes hat offenbar gedacht, des is mir etzad z´bleed, und ist nicht zur Wahl gegangen. Schade. Aber begreiflich.

Nun sind Kneipen keine Fitneßklubs und man hält sich in ihnen seit Menschengedenken nicht zum Zweck körperlicher Ertüchtigung auf. Und ab einem bestimmten, meist frühen Stadium des Erwachsenseins ist einem klar, daß man manchmal Dinge tut, zu sich nimmt oder erlaubt, die nicht gesund, moralisch oder nützlich sind und die trotzdem Spaß machen. Manchmal werden sie bestraft, manchmal nicht. In welchem Ausmaß man Risiken eingeht, wird man abwägen. Oder auch nicht. Sich das von irgendjemandem vorschreiben zu lassen, dem man nie begegnet ist und dem zu begegnen man sich nicht wünscht, ist unerträglich.

Noch einmal: Es gibt genügend Orte, an denen Nichtraucher nicht gestört werden. Gut so. Keiner wird sie ihnen streitig machen. Zwangsweise zu einem der ihren gemacht zu werden, muß man sich deshalb noch lang nicht gefallen lassen. Ich glaube, es war der großartige Peter Richter, der zu Beginn dieses Scheinkriegs in der FAZ bekannte, nie geraucht zu haben, jetzt, unter diesen Umständen, aber gern damit beginnen zu wollen.

Muß er nicht.

Jeder soll nach seiner Facon selig werden – unselig werden allerdings auch. Das nennt man Erwachsensein.

Gartenmord 2

Bürgerbeglückung seitens der Behörden bekommt in Frankfurt schnell etwas Erbittertes. Zu beobachten ist das jetzt im Fall Neubau des Museums der Weltkulturen. Viele haben erst durch den öffentlich ausgetragenen Krach mitgekriegt, daß wir sowas haben, ein Museum der Weltkulturen. Der Entwurf wird hysterisch gepriesen, und die Gegner in häßliche Ecken gestellt. Also: Da ist der Park, ein netter Park, den sich die Weltkulturen, die lebendigen, sozusagen erobert haben. Das war nicht geplant, es hat sich so ergeben. Vorzugsweise junge Leute feiern da, spielen Fußball, küssen sich, räumen ihren Müll manchmal nicht weg, wie es halt so ist. Ganz verschiedene Kulturen machen da Party und Lärm, spielen mit ihren Kindern oder lesen, und das alles im freundlichen Schatten von Bäumen. Der Neubau für das Museum würde dem Park zuleibe rücken. Bäume sollen gefällt werden, das Grundwasser abgesenkt, was für die übriggelassenen Bäume nichts Gutes heißt. Frankfurt liebt das Ungeplante nicht. Frankfurt ist auch nicht neugierig auf das vielerlei Trotzdem, das im Schatten von Hochhausclustern, Verkehrs­beruhigung, Stadt­planung, Eventmanagement und Prestige­projekten gedeiht. Die Frankfurter sind wie Gänseblümchen, still und stur, und sie finden immer wieder irgendein Plätzchen, wo sie Wurzeln schlagen können. So eins ist dieser Park. Und anstatt sich gegenseitig fertigzumachen und so zu tun, als würde ohne den bedingungslosen Neubau Frankfurt mit einem Schlag zu Wiesbaden, sollte man den Park freundlich respektieren.

Ich weiß nicht, ob von den Frankfurter Planern jemand weiß, was in anderen Städten mit Frankfurter Modell gemeint ist: Alles weghauen, was nicht in den Plan paßt und ein bißchen Fassade übriglassen. Orte zurichten, bis sie passen. Das sei, sagte mir jemand, wie wenn man eine schöne Frau totschlage und nur die Schminke übriglasse. Dafür gibt es viele Beispiele in der Stadt. Und wenn die Verantwortlichen längst der grüne Rasen deckt oder das große Vergessen befallen hat: Die Ergebnisse stehen immer noch da. Museen haben es in Frankfurt immer gut gehabt, ihnen wurde und wird mehr getraut als der unzuverlässigen Bürgerschaft. Museen sollen trösten, über das Zugerichtete und Hingerichtete. Ein Vorgartenmuseum wäre in dieser Stadt leichter hinzukriegen als Vorgärten. Ich erinnere mich noch gut an den Börneplatz. Das Museum wurde dann furchtbar teuer. Hätte man aus dem Platz mit seinen herzzerreißenden Resten einen Garten des Gedenkens gemacht, wärs billiger geworden. Aber der Stadtwerkebau war ja nicht zu diskutieren. Da steht er nun. Die Namen seiner Verfechter sind längst vergessen.

Daher, vom Zurichten, kommt auch diese spezifische Erbitterung. Man gibt so viel Geld aus, für die Bürger, und dann diese Undankbarkeit! Stuttgart 21! Wutbürger! Alles fortschrittsfeindliche Spießer!

Merkwürdig und ziemlich unlogisch scheint mir, die für den Sachsenhäuser Park kämpfenden Anrainer der Eigensucht zu zeihen: Reiche Leute, die für ihre Ungestörtheit kämpfen! Sogar die CDU flötet klassenkämpferische Melodien. Daraus wird aber eigentlich kein Schuh, denn reiche, selbstsüchtige Anwohner müßten doch eher für das Verschwinden des Parks plädieren, mitsamt seiner lauten, rücksichtslosen, dreckverursachenden und nächtlich ruhestörenden Besucherschaft.

Manchmal denke ich, es gibt zwischen Vergangenheit und Zukunft keinen vernünftigen Platz für die Gegenwart, dieses Gänseblümchen.